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| zwischen sinn und subversion – sieben fragen an… jenna gesse |

Posted: September 19th, 2013 | Author: | Filed under: interview - 7 fragen.., word | No Comments »

jenna gesse ist gestalterin. in der (post)modernen arbeitswelt mag dies profan scheinen, spült der digitale zeitgeist doch schwärmeweise texter und pixelschubser an die schreibtische, die – mal mehr mal minder erfolgreich – äpfeldesigns und sonstige gestalterische vollwertkost produzieren. doch jenna gesse ist anders. sie liebt das buchgestalten zwischen echten pappdeckeln. sie verknüpft inhalt und form auf spielerische wie humoreske weise und hat mit „leerzeichen für applaus“ eine diplomarbeit vorgelegt, die die neidischen blicke so mancher dissertation auf sich zieht und zahlreiche auszeichnungen – auch über den grossen teich hinaus – erhielt.

(quelle: jennagesse.de/leerzeichen-fuer-applaus)

jenna gesse: “leerzeichen für applaus”, erschienen beim verlag niggli

obwohl – oder gerade weil – sich das off journal in gestalterischer hinsicht unwürdig für gesses zeilen fühlt, freue ich mich umso mehr, jenna gesse für eine neue folge von „zwischen sinn und subversion – 7 fragen an …“ gewonnen zu haben.

was trieb dich an, „leerzeichen für applaus“ zu gestalten – ausser die diplomierung?

jenna gesse: die möglichkeit, inhalt und form beeinflussen zu dürfen – nicht gerade alltäglich für die meisten aufgaben. ich konnte zwei leidenschaften verbinden: das schreiben und die buchgestaltung. ausserdem mussten die unzähligen textskizzen in heften, auf quittungen und kontoauszügen endlich mal zusammen gefasst werden. der ursprüngliche antrieb war aber der „mikrokosmos gestalter“, die kollektiven gedankengänge: nach dem dritten bier geht es immer um verschwitzte exportiervorgänge, flattersatz-krisen und hochauflösende freundschaften. das buch ist eine zusage, mit dieser wahrnehmung nicht alleine zu sein.

mal ganz ehrlich – warum die ganze liebe für die gestaltung eines buches, wenn bücher ohnehin bald ein schattenpflänzchendasein in verstaubten antiquariaten fristen werden?

jenna gesse: besser verstaubt als vertwittert.
wie so oft bei hoffnungslosen liebesgeschichten: es fühlt sich einfach richtig an. und bleibt reizvoll.

wie klingt ein theaterstück zu „leerzeichen für applaus“ und welche rolle würdest du dabei spielen?

jenna gesse: spontan würde mir ein ausrufezeichen-kostüm gefallen. aber vermutlich würde ich selbst gar nicht mitspielen. ich wäre die dramaturgin, die die plakate klebt und das popcorn macht. auf jeden fall gibt es popcorn. das stück fängt aber erst an, wenn alle aufgegessen haben.
ansonsten wäre das stück eher ruhig, regelmässig, mit plötzlichen wirren auswüchsen. irgendwas zwischen tropfendem wasserhahn und mediamarkt.

folgendes gedicht stammt aus deiner feder –

typographisch
korrekt
inhaltlich
schwach
typografisch
korrekt
inhaltlich
schwach
typografich
korrekt
inhaltlich
schwach
typografisch
korrekt

wie viel poesie verträgt die gestaltung?

jenna gesse: gestaltung verträgt sehr viel poesie. gestaltung verträgt sehr viel von allem, was sie lebendig und eigenständig macht. humor, abneigung, haltung … schwieriger ist es andersherum: wie viel gestaltung verträgt die poesie? gestaltung kann poesie die kraft rauben – andersherum kann ich mir das kaum vorstellen.

du hattest in „leerzeichen für applaus“ mehr ideen als mais in einer popcorntüte  – was sind deine nächsten pläne?

jenna gesse: nachos.

wie fühlt es sich an, ein typo-rockstar zu sein?

jenna gesse: ich würde ja einen fragen, aber sie sind alle tot.

zerstört es die form dieses interviews, wenn die letzte frage inhaltsleer ist?

jenna gesse: nicht, wenn es eine gehaltvolle antwort darauf gibt. ich sage einfach mal: ja.


| singende stahlrösser – oder: die antwort ist das pure chaos |

Posted: September 11th, 2013 | Author: | Filed under: exkurs ohne norm, sound, word | No Comments »

aufgrund der grossen abstinenz von nachfragen und wünschen bezüglich grausigen, trashigen covers von überhörten, noch grausigeren klassikern, habe ich mich der treuen leser- und hörerschaft zuliebe in die niederungen der seichten shoegaze-twinkle-backgroundhumming-platten begeben und ein bezauberndes wie aktuelles tonbeispiel auf den digitalen plattenteller gelegt:

nein, “let it be” von meeks taugt nicht für einen spätsommerhit, es reicht noch nicht einmal für die repeattaste. für mich. für die band meeks hat es für ein ganzes sortiment von beatles-klassikern gereicht. provokativ? nein, ich verschone euch, ich hätte ebenso das cover von “norwegian wood” auflegen können, dessen schlammiges geräuschinto an den soundcheck betrunkener schulbands erinnert und murakami mit sicherheit ohrenbluten verursacht. obwohl, hier habt ihr es:

aber wozu diese schiefe, dissonante einleitung? weshalb der abschweif in psychedelische soundvarianten? weil es einfach gut tut, musik zu hören, die endlich einmal nicht den zuschreibungslogiken und passformen individueller vorlieben entspricht. denn gesellschaftliche einteilung verläuft nunmal in kollektivpattern, in marktanalysierten habitusformen, denen sich die menschen passiv fügen. selbst die masse der individuellen und alternativen werden zu einer konsumgruppe gefasst. verhaltenskodex “jutebeutel” korreliert wohl überwiegend mit dem kaufverhalten “stadtrennrad”. “deleuze” liegt sicher nicht in einem amazoneinkaufskorb mit “rechtswissenschaftlicher basisliteratur”. im zuge der nsa-affäre werden stimmen laut, die sich über die erfassung und weitergabe von personendaten empören. zurecht. aber die einzig sinnige antwort gegenüber kategorisierung und erfassung ist die radikale diskongruenz in form unerwarteter verhaltensformen. konformität ad adversum sozusagen. die infragestellung von lebensformen, handlungsroutinen, disziplinen und traditionen.

die kunst ist vieles nicht, nicht vieles, aber vordenkend immer. bukowski mag keinen hexameter verwendet haben, aber ein meister der freien verwendung von inhalt und form – mit nihilistischen einsprengseln – war er allemal:

kein vergleich mit hemingway

“im zug kam ihm angeblich mal
ein ganzer koffer manuskripte weg
und davon ist nie mehr was
aufgetaucht.
mit so viel agonie kann ich mich
nicht messen, aber neulich abends
schrieb ich auf diesem pc ein
gedicht von drei seiten
und durch schusseligkeit
mangelnde übung und rumspielen
mit befehlen im menü
brachte ich es irgendwie fertig
das gedicht für immer zu
löschen.
glaubt mir, das ist sogar
für einen neuling nicht leicht
aber ich habe es
trotzdem geschafft.

zwar glaube ich nicht, daß die
drei seiten unsterblich waren
aber es waren ein paar irre
knallige zeilen dabei, und die
sind jetzt für immer weg.
es ärgert mich mehr als ein
bißchen. ungefähr so
als hätte ich eine flasche
guten wein umgestoßen.

darüber zu schreiben
macht als gedicht nicht
viel her, aber ich hab mir
gedacht, es interessiert
euch vielleicht.

falls nicht, habt ihr
wenistens bis hierher
gelesen, und es könnte ja sein
daß noch was besseres
nachkommt.

hoffen wirs mal. für
euch und für mich.”

(“kein vergleich mit hemingway” – charles bukowski, aus ders.:
“auf dem stahlroß ins nirwana. gedichte 1988-1992.”)