ohnein, kate tempest gehört nicht dazu. zu den blümchenblusensongwriterinnen, die mit hochaufgeschlagenen augen rehscheu ins publikum blicken, zierliche lieder von zaudernder liebe singen und dabei sachte mit der daumenfläche über die sechs saiten der konzertgitarre wischen. im gegenteil: die wortgewandte und ungenierte londonerin mag es derb. mit penetrant-nöliger stimme prasselt ihr wortschwall wie donnergrollen auf das publikum nieder. inszeniert als rockija plärrt sie in jedes herumstehende mikrophon. es scheint zu wirken. sie ist der spoken artist der stunde, mit “sick flow” und “relentless rhymes”.
aber sie kann auch im modus “feel good”, wie sie in “our town” zeigt. im remix-style als feat. mit letthemusicplay durchschlendert sie die londoner staßen und sprechsingt gedankenverlorene binsen, die im kern augenzwinkernde kritik am hedono-cosmopolitischen lebensstil der 2010er jahre üben. informationsflut und zeitnot an allen ecken und enden und das endlos-gestresste bemühen, so gechillt wie möglich dabei zu wirken. auf den punkt gebracht: [...] let’s pretend we’re not too busy [...]. die szenerie wirkt jedoch in keinster weise gesellschaftskritisch aufgeladen. die beatmachine produziert wohltemperierte sonnenstahlen.
während der song schon bei 3:11 ausklingt, scheint im hinterkopf der dumpfe bass zu dan le sacs f***o**-hymne weiterzuschlagen: “the beatles: were just a band. / led zepplin: just a band. / the beach boys: just a band. / the sex pistols: just a band. / the clash: just a band. / crass: just a band. / minor threat: just a band. / the cure: were just a band. / the smiths: just a band. / …” (thou shalt not kieewl – dan le sac feat. scroobius pip)
“our town” von letthemusicplay feat. kate tempest ist der neunte song aus der offjournal-reihe “accidental play of the week – die musikalische halbe stunde reise nach jerusalem, bei der der song gewinnt, der im ohr stehenbleibt.”
was muss man nicht alles lesen. mogwai seien alt geworden. seit 1995 betöre die glasgower postrockband die musikwelt mit soundkartenhäusern. die nun langsam abbröckeln, in sich zusammenfallen. zu einseitig und unaufgeregt klängen die songs, zu erlebnisarm tropften aitchisons basstöne an braithwaites kaum dechiffrierbaren melodielinien entlang. die band befände sich nun im vaterstadium, ikeas “small-land” statt soundlandscapes.
eine anmaßung. bereits mogwais soundkulissen als songs zu betiteln widerspricht dem immanenten charakter der atmosphärik. die ausgewählten soundbeispiele bilden lediglich hörerkompatible ausschnitte ab, häppchen für die 3:20-geschulten massen, ein kurzes hastiges vorbeihören. mogwai sind sound. es geht nicht um den anfang und das ende, sondern um den einzelnen ton. um die unschuldige leichtigkeit von pianissimo, um die brachiale wucht verzerrter bässe beim crescendo. mogwai-sounds zu hören ist wie das entlanglaufen auf getrocknetem hawaiianischen magma [2:47]. ein schier endloser krater poröser felsbrocken, die eine bewegungslose steinwüste beschreiben, starr und ohne leben. doch wer die augen öffnet und die ohren nicht verschließt, sieht die pflanzen sprießen, das erste leben zwischen dem gestein, hört und spürt das brodelnde lava nahe an den fußsohlen vibrieren, entdeckt die weite der szenerie und die gleichzeitigkeit von entstehen und vergehen.
mogwai entzieht sich jeder beschreibung. ihr name ist so beschreibungslos wie sie selbst. sie konstruieren gefühle, bei dem einen melancholie, bei der anderen freude und erhabenheit. sie ist die band aller gleichzeitigkeit für die, die sich zeit zum hören nehmen.
“the lord is out of control” von mogwai ist der achte song aus der offjournal-reihe “accidental play of the week – die musikalische halbe stunde reise nach jerusalem, bei der der song gewinnt, der im ohr stehenbleibt.”
gewagt kommt von gewogen. bildung kommt von bild. und musik aus dem kopfhörer. nein, aus dem proberaum. it’s bootleg-time. gewogen war ich der band the broken beats lange zeit. bevor sie wie retorten-strokes klangen und weit bevor sie sich in popsphären entbanden, deren tondunst scheinbar nur kim munk durchdringt. sein gusto prangt nun wie ein kaufmich-sticker auf dem plattencover, zieht sich wie ein tinnitus durch jedes neu kreierte songgerüst, hängt wie spucke im mikro für jede neue gesangsspur. eine pseudokreative inszenierung jagt die nächste. kim munk und sein starensemble „galaxy symphony orchestra“, bereits für den nächsten fahrstuhl.
eine szene, wie sie christian kracht erlebt haben könnte: im freiburger walfisch, 2006, 5 euro, konzert bereits begonnen. promoten für das album „them codes…them codes“. ja, das konnten sie gut. die bassistin maria steht noch am tresen und schwatzt, während kim unerkennbares ins mikro jodelt. zwischen dhouu und daiihh und drei umdrehungen liegen ein paar schlücke bier. eine geräuschkulisse von gesprächen, flaschengeklimper und bassgedudel. irgendwo ein paar herumfliegende töne. die niemand beachtet, denn so wichtig sind sie nicht. bis: „well everybody knooows it’s tiiime to try“. ein kurzer moment der aufmerksamkeit. er vergeht schnell wieder, doch die szenerie hat sich verändert. es herrscht nur noch latente indifferenz, stillschweigendes wippen, ein kurzer blick, der erste fuss bewegt sich. die bassläufe werden plötzlich sichtbar, wie stroboskop-fäden stottern sie durch den miefigen raum. der beat treibt die ersten schweissperlen auf die stirn, anzeichen von indietronic-offbeat-getacker aus der hintersten reihe. signal, signal. die gitarre hustet ein düsteres solo, wird aber sofort vom refrain verschluckt. wieder kims „everybody knooows“. danach kam nichts mehr. aber was sollte danach noch folgen? es war alles gesagt.
“everybody knows” ist der siebte song aus der offjournal-reihe “accidental play of the week – die musikalische halbe stunde reise nach jerusalem, bei der der song gewinnt, der im ohr stehenbleibt.”
man muss sich auf ihn einlassen. “banhart is a man taken with strange obsessions: fantasy relationships, beautiful children, 11-century nuns who speak directly to god” schreibt das chicagoer magazine ‘consequence of sound’ über ihn. er ist ein phämonen, weil er schafft, was neben ihm nahezu keinem künstler gelingt: seine musik zeichnet sich durch klar charakteristische und wiedererkennende merkmale aus, und gleichzeitig gehört er zu den chamäleonartigsten und mäandernsten künstler an der gitarre. es gibt tageszeiten, da muss man seine musik hassen, für die direktivität und penetranz seiner tremolo-stimme (wie wäre es mit einem elektroduett mit austra?). doch es gibt momente, da öffnet das herz genau wegen dieser stimme seine scheuklappen, atmet durch im emotionsraum von banhard minimalistischen tonspuren und subtil-eleganten melodielinien. er nennt seine lieder “hildegard von bingen” oder “pumpkin seed”, er komponiert portugiesische folklore und texanischen trashpop. sein sound ist beatles und modern zugleich und seine texte, ja die sind schlicht, direkt und vernichtend sehnsüchtig:
“we burned all our clothes
blew yopo up our nose
we’re a young and lazy ol’ wild boar
yep, we followed the stork
it led us to camp
we didn’t get lost but we lost a chance
1901 was the year of the bleedin’ horse
and i was lonely, lonely
1902 the devil sucked off the moon
please hold me, please hold me
[...]
and the w.a.c.
was pointing remingtons at the trees
they couldn’t find us
can’t find us”
“Tonada Yanomaminista” ist der sechste song aus der offjournal-reihe “accidental play of the week – die musikalische halbe stunde reise nach jerusalem, bei der der song gewinnt, der im ohr stehenbleibt.”
sind sie auch diese intertextuellen und intertonalen referenzen leid? ja? diese andeutungen, hinführungen, in-spi-ra-ti-oo-nen. diese dinger, die just im selben beutel mit den pla-gi-aa-ten herumliegen. ob nun harrowdown hill von radiohead die geschichtsschreibung des irak-kriegs tangiert, ob nun cassie von flyleaf die geschichte eines amoklaufs nachschreibt, ob nun bright eyes radio-beethoven auf dem ohr hatte, als er road to joy schrieb, es ist mir schnuu-hu-pe. deswegen höre ich mir wohlwill strasse von friska viljor an und erfreue mich der ironischen direktheit von folklorisch-tanzbarem beat, überoberton-refraingesang und crescendohaft-lockerer songstruktur. und nein, ich höre hier keine beatles-allegorien heraus, keine hindeutungen auf zebrastreifen und popgeschichte, ich höre einfach nur zu. und mein fuß wippt so locker flockig wie zuletzt zu little talks von den genialischen of monsters and men.
“wohlwill strasse” ist der fünfte song aus der offjournal-reihe “accidental play of the week – die musikalische halbe stunde reise nach jerusalem, bei der der song gewinnt, der im ohr stehenbleibt.”
die band mellowdrone um sänger jonathan bates ist bekannt für ihre mollbeladenen zwischentöne zur durparty an den stränden von los angeles. genau eine dekade dauerte es jedoch, bis die band 2009 auf ihrem siebten studioalbum „angry bear“ im song „elephant“ ihre lo-fi attitüde zur perfektion mischte. dumpfer, verschrobener sound, eingängiger indie-refrain aus der waschtrommel und knarziger bassteppich vom trödel. weshalb gerade ein elephant auf einer bärenplatte für den stärksten song herhalten musste, bleibt ungelöst. den song auf symbolischen gehalt zu prüfen, läge sicherlich nicht im sinne der urheber, ließe sich aber durch die tierwahl vorzüglich analysieren. mellowdrone singen: „elephant, oh elephant, one step ahead of time“. elefanten sind stolze tiere, und für den menschen kaum greifbar. groß und grau, behände und ungelenk, schreckhaft und schwer. sie verbreiten eine wohlig warme ruhe. wann immer sie furcht einflößen, überraschen sich die menschen dabei, dass die furcht eine bloße projektion der eigenen unsicherheit ist. orwell schrieb in seiner kurzgeschichte „einen elefanten erschießen“: sobald ich den elefanten erblickt hatte, wusste ich mit absoluter gewissheit, dass ich ihn nicht zu töten brauchte. […] aus der nähe sah der friedlich grasende elefant nicht gefährlicher aus als eine kuh.“ trotzdem tat er es am ende. seine geschichte bedient sich der metapher des elefanten, um die ohnmacht und die beschränktheit der menschen in einer bestimmten gesellschaftsordnung zu dechiffrieren. vielleicht ein grund, warum das motiv im modernen popdiskurs zunehmend anwendung findet. the white stripes haben es vorgemacht.
aber lassen wir es gut sein. es ist schließlich nur ein song. und ein song ist ein song, nada mas. oder?
“elephant” ist der vierte song aus der offjournal-reihe “accidental play of the week – die musikalische halbe stunde reise nach jerusalem, bei der der song gewinnt, der im ohr stehenbleibt.”
in my dreams / i see myself hitting a baseball / in a green field somewhere near a freeway / i’m all tan and smiling and running from third base / and it’s hot / and the kids keep playing the driving game / and they’re singing the same goddamn refrain / and the sky is a blueish gray / and it’s become just like a chemical stress / tracing the lines in my face for / something more beautiful than is there / i’ve barely been gone / in my dreams / i see you at the foot of some mountains / and we’re taking some pictures or something / and we’d better hurry up / and it’s late / and the sun keeps on shooting through pine trees / and the grass stains are wet on your new jeans / and we’d better hurry up / and i’ve become just like a terrible mess / searching the lines in my face for / something more beautiful than is there / the crowds keep me coming back / cheering
in my dreams / i see you asleep on a twin bed / the covers pulled up over your head / am I asleep or awake? / and it’s morning / and the captain is playing the radio / and he’s just put the paint on his new boat / am i asleep or awake? / and it just feels good when you’re waking up / and it just feels good when you’re next to me / and it just feels good when you’re coming home / and it just feels good when you’re waking up / and i’ve become just like a chemical stress / tracing the lines of my face for / something more beautiful than is there / i’ve barely been gone
/ and i’m not a failure, i swear / i wish you could see it from over there / i’ve got a lot over here without you / i’ve barely been gone / gone dreaming
“my slumbering heart” ist der dritte song aus der offjournal-reihe “accidental play of the week – die musikalische halbe stunde reise nach jerusalem, bei der der song gewinnt, der im ohr stehenbleibt.”
streitbar, streitbar…wie kommt er daher. dan mangan – *1983 – ein kanadischer singer/songwriter mit sichtbarer sorgenwampe. sein blick wiegt so schwer wie seine gitarre und lässt verlauten: ich will nicht hier sein, ich will nicht hier sein, daher bin ich hier und davon will ich erzählen. plötzlich steht er also da, gleich einem motivierten auswechselspieler, den im moment der wahrheit doch der zweifel überkommt. ob des eigenen könnens. doch unbegründet, denn mangans ruhige stimme durchdringt, seine melodien nehmen ein. “you silly git” schmiegt sich an ihn wie eine zweite haut, außergewöhnlich, mit welcher schlichtheit er sich oben auf die tracklist spielt. es sind die subtilen spitzfindigkeiten, instrumental wie textlich. keine verspannten zwischenspiele, keine verstecktes effektschrauben, sondern offensichtliches pauken, das aber so gleich als schönwettergrollen verschwindet. und verschmitzt gesteht er ein: “i’ve got a sneaky kind of selfish, that I keep upon the shelf, with jars of double-sided comments, for people who’ve done nothing wrong”.
“you silly git” ist der zweite song aus der offjournal-reihe “accidental play of the week – die musikalische halbe stunde reise nach jerusalem, bei der der song gewinnt, der im ohr stehenbleibt”.
“(…) we will become become – the sound and the song (…)” – in zeiten zentnerweise herangeschaffter neuware aus digitalen garage scheint beweisführung angebracht, um sam bram und seinen mitstreitern von iron & wine den musikalischen sonderstatus zu verleihen. die songs des ehemals dozierenden barden kommen nun nicht mehr mit schlichter lyrischer popanz daher, sondern mit einer instrumentalen dichte, die selbst raum für tröten und fanfaren lässt. die platte “kiss each other clean”" setzt zu instrumentaler opulenz an, “monkey’s uptown” lässt grüßen. unmerklich kommen tanzbare elemente hinzu, naturkosmetisch verziert, für sams verhältnisse nahezu experimentell. nur seine stimme bleibt unverändert zugänglich, als wolle sie flüstern: “(…) we will become become – the whisper and the shout (…)”
“your fake name is good enough for me” ist der erste song aus der offjournal-reihe “accidental play of the week – die musikalische halbe stunde reise nach jerusalem, bei der der song gewinnt, der im ohr stehenbleibt”.